Christa Wißkirchen

*1945 in Bad Frankenhausen

studierte in Köln Germanistik und Musik. Nach einigen Jahren Schultätigkeit widmete sie sich der Familie (drei Kinder), arbeitete später musikalisch mit Vorschulkindern und veranstaltete Literatur-Gesprächskreise in der Erwachsenenbildung. Sie lebt in Pulheim-Stommeln.
Seit etwa 20 Jahren schreibt sie Lyrik und gelegentlich Kurzprosa, daneben Geschichten, Gedichte und Lieder für Kinder.
Für einen Prosatext bekam sie 1991 den Bopparder Literaturpreis.




"Der Nährwert des Kiesels", Gedichte
Silver Horse Edition, Marklkofen 2007

"Blickfeld", Gedichte (mit Zeichnungen von Rudolf Polixa), Pulheim 2001

"Geduld ist alles", Geschenkbuch, Coppenrath Verlag, Münster 2003

"Die alte Eule erzählt Geschichten" 
Bilder von Wolf Mond 
Verlag Kerle bei Herder, 2006 

Von Traumfeen und Mondschafen 
Bilder von ZORA 
Coppenrath Verlag 2005 

"Der Osterhas auf Reisen"
Bilder von Bernhard Oberdieck
Coppenrath Verlag 2005

"Mein lustiges Spielebuch" 
Bilder von Stephan Pricken 
Coppenrath Verlag 2007 

"Mein lustiges Liederbuch"
Bilder von Thorsten Saleina
Coppenrath Verlag 2008

Wie das Christkind auf die Erde kam
Coppenrath 2007
Die rote, die grüne und die gelbe Prinzessin
Coppenrath 2005
Von Engeln, Mäusen, Nikoläusen
Coppenrath 2004
Bühne frei! - Sketche für Kinder
Coppenrath 2004
Wie die Kuh den Hut fraß
Coppenrath 1998
Die Katze geht zum Hochzeitsfest
Coppenrath 1997
La Le Lu, Lieder zur guten Nacht
Coppenrath 1996
Vater Bär hat's schwer
Coppenrath 1995

weitere Veröffentlichungen:
Beiträge in Anthologien z.B. des Landpresse Verlags (Hrsg. Axel Kutsch)
Beiträge in Literaturzeitschriften, z.B. Jahrbuch der Lyrik, Das Gedicht, Muschelhaufen,
Passauer Pegasus, neue deutsche literatur
Kindertexte und Lieder in Schulbüchern, Kinderzeitschriften und Sammelbänden

Gedichte

Mörikes Bildschirmschoner
Jedesmal ruft er sein Auge zur Ordnung
jedesmal wenn
mit Farben tief tief erfrischend
fraktale Wäldchen sich aufbaun
Flugraupen Strahlenballett was ihr wollt
vergebens schilt ers mit kränkenden Hurennamen
Ergib dich! flüstern die tanzenden Haine
nicht anders! nicht anders!
Sprich: dunkle Früh, schöne Buche, Uracher Quell
ja, du bist's.
(in: Jahrbuch der Lyrik 2007, S. Fischer)

Junger Ahorn
Wo er aufwächst, leicht schief an der Böschung,
ist tiefste Provinz,
aber das weiß er nicht.
Es gibt diesen Tümpel, etwas Gebüsch,
jedoch keinerlei kulturelle Impulse
(hier waren nicht mal die Römer).
Still, wenig Wind. Ohne Publikum
greift er, gegen die Schwerkraft, aus in den Raum,
färbt, denn es ist grad die Zeit, seine wenigen Blätter
(das aber - sagen wir doch: genial).
Tümpel und Böschung kann er nicht sehen,
weil er ja blind ist.
Aber das weiß er nicht.
(in: Literatur am Niederrhein, 2004)

Veränderungen über A ist B
A ist B.
A ist vielleicht eher B.
A ist im Grunde nichts weiter als B.
Leider ist A immer zugleich auch B.
Zum Glück ist A auch immer ein wenig B.
Wir werden A niemals überwinden,
wenn wir nicht endlich wagen, es B zu nennen.
Dieses Scheiß-A ist ein einziges ungeheures B!
Wer sagt heut noch A, wenn er B sagen kann.
Wer B sagt, kann ebensogut A sagen.
Wer sagt endlich wieder A.
Es gibt kein B ohne A.
Es gibt weder A noch B.
A ist immer schon B.
A ist B.
(in: neue deutsche literatur 1/2004)


Kindertexte

Das Bärentelefon
Ein Hilferuf von Bär zu Bär:
Ich höre von dir gar nichts mehr!
Im Bärenhandy nur ein Brummer:
Kein Anschluss unter dieser Nummer.
Hier Bärenruf 2 - 6 - 0 - 7,
ich hab dir einen Brief geschrieben,
der war besonders lieb gemeint.
Wo bleibt die Antwort, alter Freund?
Hier Anschluss 7 - 8 - 3 - 4,
bin leider im Moment nicht hier.
Sie sprechen mit dem Bärofon,
jetzt Nachricht nach dem Brummelton!
He, Bär, wo bist du denn geblieben?
Ruf mich mal an, 2 - 6 - 0 - 7 !
Piep-piep, düt-düüt, was gibt es jetzt?
2 - 6 - 0 - 7 ist besetzt.
Dann kriegst du halt ein Fax von mir.
Geht nicht, da fehlt das Faxpapier.
Jetzt reicht´s! Ich mach mich auf die Socken,
denn irgendwo muss er doch hocken.
Ding-dong! Wer steht da vor der Tür?
Der echte 7 - 8 - 3 - 4 !
Halli-hallo, du Bärenknilch,
komm rein, trink mit mir Honigmilch,
und wir erzählen stundenlang
von jetzt bis Sonnenuntergang.
(aus: "Die Nadel sagt zum Luftballon" Kindergedichte, hrsg. von Annette Langen, Herder 2004; 2008 im Rundfunk bei "Ohrenbär")

Von Äpfeln und Birnen
Die Äpfel konnten die Birnen nicht leiden,
und, um sich von ihnen zu unterscheiden,
sagten sie: "Wir wollen uns Nicht-Birnen nennen,
damit alle Leute gleich merken können:
mit Birnen haben wir nichts am Hut."
Das ging auch eine Weile gut.
Dann fiel den Birnen dasselbe ein:
sie nannten sich jetzt Nichtäpfel-Verein.
Doch allmählich, wie es so geht,
wurde den Klügeren das zu blöd.
"Was sollen wir uns die Zunge verrenken
und auch noch dauernd an Birnen denken!
Wo ist unser schöner Name jetzt?
Den haben die anderen besetzt.
Man wird ja des Lebens nicht mehr froh."
Im Birnenkorb klang es ebenso.
Womit sie ihren Irrtum erkannten
und sich stillschweigend wieder wie früher nannten.

Wenn die Farben schlafen
Am Abend gehen die Farben zur Ruh,
dann sind sie müde wie ich und du.
Das Rot kriecht in die Tulpe hinein,
das Gelb verliert seinen lachenden Schein,
die Buntstifte kennen sich selber nicht mehr
und fragen im Dunkeln: Wer ist wer?
Mein lila T-Shirt hängt blass in der Ecke.
Ein farbloser Lappen: die grasgrüne Decke.
Bei Nacht ist der Himmel nicht mehr blau,
bei Nacht sind alle Katzen grau.

Aber morgens der erste Sonnenstrahl
kitzelt sie alle wach auf einmal:
Da kichert das Gelb, da lächelt das Grün,
die Buntstifte tanzen, die T-Shirts blühn,
die Wolken sind weiß und der Himmel ist blau.
Nur meine Katze ist immer noch grau.
(aus: "Die Nadel sagt zum Luftballon" Herder 2004)

Die Geschichte von der Lachnuss
In einem vornehmen Schloss lebte ein kleiner Königssohn. Er war hübsch und gesund und lernte fleißig alles, was ein Königssohn lernen muss. Nur eins war merkwürdig an ihm: er lachte nie. Nicht wenn die Kinderfrau ihn beim Baden an den Füßen kitzelte, nicht wenn beim Kasperletheater das dumme Krokodil immer in die Luft biss statt in die Prinzessin, und auch nicht wenn die Clowns im Zirkus ihre Nasen verloren. Das Publikum schrie vor Lachen, aber der kleine Königssohn zog nur ein bisschen die Mundwinkel hoch, weil er nicht unhöflich sein wollte.
"Wir müssen etwas unternehmen", sagte der König zur Königin. "Unser Kind lacht nie, und das ist nicht in Ordnung. Ein Königssohn muss alles können, was andere Kinder können, und noch ein bisschen mehr."
Sie schenkten ihm ein Buch mit tausend Witzen, aber er lachte nicht. Sie schenkten ihm zehn lustigenTrickfilme, aber er lachte nicht. Zuletzt schenkten sie ihm einen Lachsack. Darin steckte ein kleiner Apparat, der mit krächzender Stimme "Hä, hä, hä!" machte. Aber da fing der kleine Königssohn an zu weinen, und den Lachsack warf er auf den Boden.
"So geht es nicht weiter", sagte der König zum Oberhofmeister. "Bitte denk dir etwas aus, was unseren Sohn zum Lachen bringt!"
"Mir fällt nichts mehr ein", sagte der Oberhofmeister.
Aber der König schrie:" Dann sattle dein Pferd, reite sofort in die Welt und komm nicht eher wieder als bis du etwas gefunden hast!" Seufzend knöpfte der Oberhofmeister seinen prächtigen Rock zu und packte die Reisetasche.
Als er um die Ecke des Pferdestalls kam, hörte er ein paar helle Stimmen laut lachen. Es waren die fünf Kinder des Stallmeisters, die dort auf dem Boden hockten und spielten. Sie glucksten und kicherten, sie steckten die Köpfe zusammen und prusteten und wieherten und konnten gar nicht aufhören zu lachen.
"Was ist denn hier so lustig?" fragte der Oberhofmeister streng. "Habt ihr nichts Besseres zu tun als herumzualbern?"
"Wir spielen bloß mit Haselnüssen", sagte ein kleines Mädchen. "Ist das nicht erlaubt?" "Doch, doch," sagte der Oberhofmeister. "Aber warum lacht ihr denn so fürchterlich?"
"Das wissen wir auch nicht", sagte das zweite Kind. "Aber ich glaube, es liegt irgendwie an den Nüssen."
Und das dritte Kind meinte: "Vielleicht sind es ja Lachnüsse."
Bei diesem Wort fingen sie alle wieder an zu gickern und zu gackern.
"Hm", machte der Oberhofmeister. Er bückte sich, hob eine Haselnuss auf und betrachtete sie. "Gebt mir diese Nuss!" sagte er dann. "Ich schenke euch dafür fünf feine Taschentücher aus meinem Reisegepäck."
Erst wollte er sofort zum König laufen. Aber dann besann er sich. Diese Nuss sieht nach nichts aus, dachte er. Wenn ich damit zum König komme, jagt er mich mit Spott davon.
Er lud die gelehrten Ratgeber des Königs zu einer Konferenz ein und sagte: "Ich habe eine besondere Frucht gefunden, die den Wunsch des Königs erfüllen könnte. Sie sieht zwar aus wie eine gewöhnliche Haselnuss, aber es muss ein Zauber in ihr wohnen, denn sie bringt Kinder zum Lachen. Ob sie wohl einen lateinischen Namen hat?"
Die Wissenschaftler untersuchten nun die Nuss von allen Seiten, legten sie auf die Waage und zeichneten sie ab. Sie blätterten in dicken Pflanzenbüchern und in alten staubigen Zauberbüchern und beratschlagten lange.
Dann gingen alle miteinander zum König. "Majestät", sagte der Oberhofmeister, "ich habe ein Mittel ausfindig gemacht, das den Königssohn zum Lachen bringen wird. Es ist eine äußerst seltene und kostbare Frucht, die Ähnlichkeit mit einer Haselnuss hat. Unsere Wissenschaftler haben mit viel Mühe in allen gelehrten Büchern nachgeforscht und sind zu folgendem Ergebnis gekommen:
Es könnte eine Nux comica sein, dann ist sie vermutlich mit einem feinen lila Lachpulver gefüllt. Es könnte sich aber auch um eine Nux ironica handeln, dann würde eine winzige grüne Schlange mit roten Teufelshörnchen daraus zum Vorschein kommen. Ferner könnte es eine Nux humorica oder eine Nux ridicula sein... "
"Ja, ja", sagte der König, "danke schön, wir werden ja sehen. Übermorgen hat mein Sohn Geburtstag, da wollen wir sie vor seinen Augen knacken. Aber wehe, wenn es nicht klappt! Dann bist du ein Oberhofmeister gewesen und kannst deinen prächtigen Rock in den Schrank hängen."
Und nun war es so weit. Der kleine Königssohn saß auf dem Ehrenplatz am schön geschmückten Geburtstagstisch, und nach dem großen Festessen wurde die Nuss auf einem silbernen Teller hereingetragen. Die Musik spielte einen Tusch, dann nahm der Oberhofmeister mit wichtiger Miene den goldenen Nussknacker in die Hand - alle schauten gespannt mit offenem Mund zu - und drückte ihn vorsichtig zusammen. PAFF! machte es leise, die Nussschalen purzelten auf den silbernen Teller, und ein ganz kleines Staubwölkchen stieg auf. Das war alles. Nichts war drin in der Nuss, nicht mal ein gewöhnlicher Haselnusskern. Als der kleine Königssohn sah, wie alle mit dummen Gesichtern auf den Teller starrten und kein Wort herausbrachten, fing er auf einmal an zu lachen. Er lachte und lachte und konnte gar nicht aufhören, bis er schließlich die ganze Hofgesellschaft ansteckte.
"Bravo!" sagte der König und klopfte dem Oberhofmeister auf die Schulter. "Dann also von nun an täglich eine solche Nuss zum Nachtisch, wenn ich bitten darf." Und er wandte sich zum Gehen.
Der Oberhofmeister erbleichte. Wo sollte er so viele Nüsse herkriegen? Hätte er doch wenigstens den Kindern alle abgenommen! Hastig knöpfte er seinen prächtigen Rock zu und eilte hinaus, um die Kinder zu suchen. Er merkte nicht, dass der kleine Königssohn ihm heimlich folgte.
Als der Oberhofmeister um die Ecke des Pferdestalls kam, saß dort nur das kleine Mädchen auf dem Holzgeländer und baumelte mit den Beinen. "Ihr habt doch neulich mit Nüssen gespielt", keuchte er. "Wo habt ihr sie? Ich muss sie unbedingt mitnehmen, der König braucht sie."
"Die haben wir aufgegessen", sagte das kleine Mädchen. "Das machen wir immer so. Erst benutzen wir sie als Murmeln, und danach essen wir sie auf."
"Ach du liebe Zeit!" stöhnte der Oberhofmeister. "Und was war drin?"
"Natürlich Haselnusskerne, das heißt, in einer war zusätzlich ein Wurm. Ist das nicht erlaubt?"
"Doch, doch", sagte der Oberhofmeister. "Aber sag mir wenigstens, wo ihr die Nüsse herhabt!"
"Wir haben sie vom Haselstrauch geschüttelt."
"Ja, ja, aber von welchem?"
"Hm, da muss ich überlegen. Es war auf einer Wanderung... ungefähr da, wo wir den Fuchs gesehen haben."
"Und wo war das?"
"Nicht weit von dem tollen Kletterbaum, den wir entdeckt haben."
"Aber wo, wo zum Kuckuck stand denn der Baum?" Die Stimme des Oberhofmeisters zitterte vor Ungeduld.
"Keine Ahnung. Aber ganz in der Nähe ist meinem kleinen Bruder ein Tannenzapfen auf den Kopf gefallen."
"Ich geb´s auf!" ächzte der Oberhofmeister, und vor Wut sprangen ihm zwei Silberknöpfe von seinem prächtigen Rock.
Als das der kleine Königssohn sah, der hinter einem Busch alles mit angehört hatte, fing er zum zweiten Mal an zu lachen. Er prustete und wieherte und konnte gar nicht aufhören. "Geh nach Hause und näh deine Knöpfe wieder an!" sagte er dann zum Oberhofmeister. Und zu dem kleinen Mädchen sagte er: "Kann ich morgen mit euch in den Wald gehen?" "Klar," sagte das Mädchen, "wenn du darfst."
Am nächsten Tag zog der kleine Königssohn seine ältesten Stiefel an und stiefelte mit den Kindern in den Wald, wenn auch der König die Stirn runzelte, die Königin die Nase rümpfte und der Oberhofmeister den Kopf schüttelte.
Was machten sie denn im Wald? Haben sie wieder Nüsse gefunden? Haben sie gelacht? Das wissen wir nicht, denn wir haben nur noch gesehen, wie die sechs Kinder auf dem Weg immer kleiner und kleiner wurden und zuletzt um eine Waldecke herum verschwanden.
Und als sie wieder nach Hause kamen, erzählten sie - nichts.
(aus: "Die alte Eule erzählt Geschichten" Kerle Verlag 2006)